HEIDRUN SCHWARZWASSER

Band 2: Die Bewährung

Teil 4 - Die Bewährung - , Seiten 277/278

...Die kleine Judäus huschte zurück, löste die Blume von ihrem Kittelkleid und - die Musik peitschte sich ins fortefortissimo, sie warf José die Blume an die Stirn. José-Schumow schreckte zusammen und starrte die Carmen-Judäus fassungslos an. Nun geriet erneut Schu- mow ins Kreuzfeuer von Feuerbergs Kritik. „Schumow, Mensch, deine Faszination ist doch stärker als dein Wille zur Verabscheuung, du bist dem teuflischen Zauber dieser Liebeshexe erlegen, du verfällst ihr total, sitzt wie erstarrt auf dem Poller. Und jetzt - jetzt trifft dich die Blume wie ein Flammenstrahl! Dir ist unbegreiflich, was mit dir geschehen ist - du starrst sie an wie im Zauber. Aber nicht wie ein gestochenes Kalb, Schumow, ja? Bitte nicht! Du bist fassungslos, in dir klingt jetzt einzig das Andantino, und wie durch die ‘wunderbare Hexe’ gelenkt, greifst du nach der am Boden liegenden Blume. Wehrst dich dagegen mit dem folgenden Text: ‘So eine Frechheit...’. Dennoch bist du gänzlich in ihrem Bann. Die Szene ab Blumenwurf wurde wiederholt. Schumow gestaltete erneut seinen anschließenden Monolog. Wieder kam ein Einwand: „Schumow, keine gedanklichen Zwischenräume. Nach einem Satzteil kommt Schumow ins Grübeln, wie er den nächsten spricht - falsch. Ganz falsch. Empfindungen um Gottes willen nicht zerhacken! Der Strom der Emotion muß pausenlos sein! Also noch einmal. Aber nicht vorher wissen, was für ein Text kommt. Ach bitte, Schumow, bitte!“ Feuerberg ließ sich plötzlich auf die Knie niedersinken, verhakelte die Fin- ger wie im Gebet. „Ich flehe den großartigen Sängerdarsteller an, das zu geben, was er kann. Im Alltagsleben sprech ich auch keine im voraus bekannten Sätze!“ In dieser Weise nahm die Probe ihren Fortgang. Der Regisseur unterbrach Schumow nach we- nigen Worten, beanstandete und erklärte, wie er zuvor die Judäus nach wenigen Takten korrigiert hatte. Heidrun klebte auf ihrem Stuhl, nahm das Geschehen in sich auf wie etwas Unwirkliches, das dennoch Realität - Umfeld ihrer neuen Tätigkeit war. Und in ihr ungeordnetes Sinnieren stach plötzlich ein Gedanke, begleitet von starkem Empfinden: die bedauernswerten Sänger. Das sind ja Sklaven. Stehen unter Kuratel dieses unnachgiebigen Sklavenbesitzers, der sie zu Höchstleistungen anpeitscht. Gott sei Dank, daß ich nicht prädestiniert bin zum Sänger. Diesen Psychostreß hätte ich nie durchgehalten. Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen durch ein Geschehnis, das ihr unglaublich schien: Schumow hatte seinen Teilmonolog - mit mindestens zehnmaliger Unterbrechung durch den Chef - gestaltet, die Probe war beendet. Plötzlich ging Schumow auf Feuerberg zu, nahm linkisch dessen Hände in die seinen, schüttelte sie ein über das andere Mal und sagte in seinem unzureichenden Deutsch mit überströmender Wärme: „Danke! Danke sagt Michail Schumow groß Regisseur für Arbeit mit Schumow. Danke!“
Der ‘große Regisseur’, im Augenblick unfähig zu einer Erwiderung, verkniff das Gesicht zum gewohnten gekünstelten Lächeln, nach einer Schrecksekunde erst kam die Antwort, etwas unsicher, er schien überrumpelt, „der Dank gilt dir! Durch harte Arbeit hast du eine fabelhafte Leistung erzielt!“
Hinter dem Flügel lispelte der Repetitor, während er seine Noten grabschte: „Der Ruse hat sie nicht alle...“
„Wieso, Berni - hast du was gegen unsere ‘Freunde’?! fragte darauf der Assistent mit seltsa- mem Lächeln, dem man schwer zu entnehmen vermochte, ob Verteidigung oder Ironie der Auslöser war....