HEIDRUN SCHWARZWASSER

Band 2: Neuer Anfang

Teil 3 - Neuer Anfang - , Seiten 21/22

...“Und nu nehm’ Se sich ‘n Karton und verpacken auf der linken Seite die Lager.“ Auch das noch! Kaum hatte man Boden unter den Füßen oder (Karton-)Wände um sich ge- schlagen, kam ein Kommando und donnerte alles zusammen - so ist das Leben. Heidrun seufzte. Griff sich eines der wertvollen Kartongebilde und - entdeckte zu ihrem Entsetzen, daß dieses verdammte Hornissentier aus seinen zwei linken Fühlern in Gleitrinnenform doppelt so viele Ölpapierpäckchen auf ihre Tischseite spie als auf die der Kollegin und die verdammten Ölpapierpäckchen sich plötzlich auf den Rinnen, die auf ihre Tischhälfte mündeten, stauten. Krachend polterten die Klumpen auf die Zinkblechplatte herab. Plötzlich hauchte die Hornisse ihr Leben aus - das Automatenklappern verstummte. „Mensch, was machen Se denn“, kreischte die Dicke auf, entfernte einen erneuten Klumpen am Oberlauf der Gleitbahn, schob die übrigen Ölpapierpäckchen, die sich säuberlich, Stück für Stück, zu einem Verkehrs- hindernis übereinandergebaut hatten, auf der abwärtsschrägenden Bahn gewaltsam auf Heid- runs Verpackungshälfte, schimpfte laut: „So was dürfen Se doch nie machen, Se haben doch Augen im Kopf und sehen. Wenn die Gleitbahn vollgepfropft ist, dann müssen Se de Lager jefälligst runterschieben, sonst gibt’s ‘ne Havarie und der Automat steht.“ Mißbilligend schüt- telte sie den Kopf. Heidrun stand verdattert und verschüchtert vor ihrem noch leeren Karton, stammelte verängstigt und leise: „Ach, entschuldigen Sie, das wußte ich noch nicht - das, das kommt bestimmt nie wieder vor -“
„- so was sieht man einfach“, trompete ihr die Dicke ins Wort. Sie ruderte sich mit mächtig ausholenden Bewegungen um den Tisch herum, pflanzte sich an der Längsseite des Verpakkungstieres auf und begann das Scherengefüge abzutasten. Die Hornisse gab kein Lebenszei- chen von sich. „Peteer!“ schrie Madame Rosita in das kreischende Gepolter und Gedröhne der Halle.
Kein Peter erschien.
Dafür stand plötzlich der Meister neben Heidrun. „Na, wo brennt’s denn?!“
Heidrun hätte heulen mögen vor Scham. Sie brachte kein Wort hervor, blickte nur, puterrot im Gesicht und völlig eingeschüchtert, in ihren leeren Karton.
„Die Maschine steht“, flötete die Dicke in samtweichem Ton
„Seh ich“, konstatierte der Meister. Hantierte an der Hornisse herum. Fragte nebenbei: „Wer hat’n die Kartons geschichtet?“
„Die Neue!“ blies triumphierend Madame Rosita dem Meister zu, als hätte sie selber einen ganzen Wall aus kopfgroßen Quadersteinen im Schweiße ihres Angesichts aufeinandergehievt. Der pfiff durch die Zähne, angestrengt an der Maschine herumschraubend, -drehend, -klappernd, sagte trocken: „Kinder, schichtet Mauern um euch, es kommen feindliche Zeiten - gegen wen wollen Sie sich absichern mit de Kartons, liebwerte Kollegin? Gegen det Muttchen Kontrollöse dahinter oder gegen menschliches ‘Gewitter’ aus nächster Nähe?!“ Er drückte den Kopf auf die Brust, um seinen Mund kräuselte verschmitztes Lachen. „Du, wie meinsten det, Herbert?“ fragte die Dicke, nahendes Unwetter vibrierte im Ton. „Wie ich’s gesagt habe, Rositalein! So, det Ding klappert wieder.“ Mit breit ausladenden Schritten verließ er die rüsselnde Hornisse. Raunte Heidrun im Vorbeigehen zu: „Is doch jut für’n Anfang!“ Er entschwand ihren Blicken....

Nach einem Unfall und der autodidaktischen Schulung im Musikrezensieren während des langzeitigen Krankenhausaufenthaltes gelingt Heidrun der berufliche Wechsel zur Musik: Sie wird vom Intendanten und Chefregisseur eines Berliner Opernhauses als dessen persönliche Mitarbeiterin engagiert. In dieser Funktion kann sie auch hin und wieder in eine Probe schauen. Die folgende Szene blendet ein in eine auf der Probebühne stattfindende Probe aus dem 1. Akt der Oper „Carmen“.